1997
Elisabeth Grossmann
Regel und Abweichung, Museum Haus Konstruktiv, Zürich
Daniel Göttin (geb. 1959) – Many of these are gone
1993 hat Daniel Göttin, als Gast des Sommerateliers, die Gelegenheit, sich mit der Architektur und den Ausstellungsgegebenheiten der Shedhalle Frauenfeld auseinanderzusetzen. „Was zu sehen ist, kann schnell beschrieben werden, aber erfordert weit mehr Zeit, erfasst zu werden”, schreibt Beatrix Ruf. „An den den Ausstellungsraum fassenden Aussenwänden sind schwarze Klebestreifen, 2.5 cm breit, als Linienmuster geklebt. Der Abstand der Streifen bezieht sich auf die zweite Klebearbeit im Raum, die um die tragenden Säulen geklebt ist. Die Streifen sind 5cm breit und wiederholen in ihrem Abstand die Massbreite der schwarzen Klebestreifen. In der Streifenklebung der Aussenwände wurde alles ausgespart, was schon ein Relief darstellte oder was eigentlich durchsichtig wäre: so wie die weiss übermalten Sichtbausteine. Die schwarzen Klebestreifen auf der Wand fügen ‚Masse‘ hinzu (sind Relief), ‚öffnen‘ aber auch die Geschlossenheit der Wand durch visuelle ‚Schnitte‘. Die Klebestreifen im Innenraum bauen einen Körper auf (fassen visuell einen Raumkörper), sprechen aber vor allem von Durchsichtigkeit und Leichtigkeit. Die Behandlung der gegebenen Wand und die neue ‚Wand‘ (zwei ineinandergreifende U-Formen) setzen sich mit elementaren Raumbedingungen auseinander.” 195| Auf der Basis eines einfachen Streifenrasters definiert Göttin den visuel unruhigen Raum der Shedhalle neu, vereinheitlicht ihn über die Akzentuierung der Horizontale und gibt ihm, durch die Umschreibung eines transparenten Zwischenraumes, ein neues ästhetisches Mass.
Wenngleich Göttin für seine Interventionen auch das Obiekt (Boxen z.B.) miteinbezieht und in seiner Tätigkeit für Kunst am Bau sowohl die Wand-/Bodenmalerei als auch die Plastik verbindet, sind seine Setzungen meist auf den Einsatz eines einzigen Materials beschränkt: das Gewebeband. Es verdeutlicht den Aspekt des Temporären und Fragilen; es ist an und für sich ein ‚Nicht‘ und wird erst durch die Interaktion mit einer Fläche oder einem Raum zu einem formbildenden Element. Und in seiner unspektakulären Alltäglichkeit und materiellen Wertlosigkeit enthält es auch ein kunstkritisches Moment.
„Viele sind verschwunden”, sagt Göttin im Rückblick auf zahlreiche Setzungen, die er an verschiedensten Orten in Australien, den USA und der Schweiz ausgeführt hat. Alle sind sie zumindest dokumentiert und beweisen in einem ästhetisch wechselnden Umfeld das zugleich Sparsame und Präzise von Göttins Eingriffen. Eine subversive Note erhalten seine Interventionen bei der Plazierung in privaten Lebensräumen, wo weitere, kulturell bedingte Ebenen mit einwirken. So besetzen seine lapidaren Konstruktionen, mit Gewebeband und Papier (oder hie und da Acryl) ausgeführt, amerikanische und australische Living-Rooms und Küchen und treten so (im Gegensatz zu Ausstellungsräumen) mit der Alltagsästhetik in Kontakt. Wie ein beharrliches Argument für Mass und Proportion ’sitzen‘ Göttins Konstruktionen unter der Decke, während sich um sie herum der persönliche Geschmack akkumuliert. Als ästhetische Fremdkörper in einer absichtlich poveren Materialität treffen sie auf die materielle Häufung subjektiver Lebensdefinitionen: radikale Setzung und persönlicher Geschmack, zwei Aspekte und zwei Behauptungen, treten in einen sprechenden Widerstreit.
Für unsere Stiftung besetzt Göttin zwei Orte, die einerseits versteckt und anderseits ausserhalb des Ausstellungsbereiches sind. In den Zwischenzonen, zwischen ‚Bühne‘ und ‚Backstage‘, ist sein Beitrag angesiedelt. ‚Ohne Titel‘, 1997 (vgl. Abb.) ist zweiteilig angelegt und bringt die Küche und den Vorraum zur Toilette in den (zu entdeckenden) Zusammenhang. Beide Teile der Intervention basieren auf einer roten Fläche Acryl, und der geachtelten Teilung (Gewebeband). Beide sind sie direkt auf den Ort entwickelt worden und nehmen, ausgehend von derselben Basisform auf den jeweilgen Raum Bezug.