1994
Beatrix Ruf
Sommeratelier, Shed Eisenwerk, Frauenfeld
Rauminstallation
Eine Frage drängt sich als erstes auf, wenn man die Ausstellung Daniel Göttins hier in der Shed-Halle des Eisenwerkes besucht: Wo ist die Ausstellung?
Was zeigt uns Daniel Göttin, dessen künstlerische Arbeitsbereiche Installationen, Malerei und Projekte im öffentlichen Raum umfassen?
Zuerst allgemein: Daniel Göttin verbindet in seiner Arbeit zwei Pole, er bringt strenge, reduzierte Mittel und Konzepte mit der Umfunktionierung von Alltagsmaterialien zusammen. Bekannte Materialien und die Bekanntheit gegebener Räume werden mit der (scheinbar) strengen Regelhaftigkeit der künstlerischen Kompositionen behandelt und gleichzeitig in ein Collageprinzip überführt, welches «Bilder» die Neuerfindungen der vorgefundenen Architektur und die verwendeten Materialien und Formen unterwandert. Kurt Schwitters und Donald Judd nennt er als seine Vorbilder. In seinen Vorbildern akkumulieren sich die grossen Entwicklungen der Moderne: der Surrealismus/Dadaismus und der Konstruktivismus, die Minimal Art und die Raumauffassung der amerikanischen Malerei (Pollock, Newmann, Rothko).
Gegen Wiedererkennungsklischees und die zur Zeit wieder vorhandene Tendenz zum handlichen und transportablen Kunstgegenstand, entwickelt Danie Göttin Ideen zu einem Werk, das immer die vorhandenen Bedingungen miteinbezieht. Wichtiger Bestandteil dieser Arbeit ist, dass sie mit dem Fragilen, Temporären, Vergänglichen und dem Grenzbereich zum Wertlosen umgeht. Material ist alltäglich, vergänglich und für uns immer mit Inhaltlichkeit/Bedeutung verbunden: wir haben alle schon Päckchen verpackt, Papier zusammengeklebt, gesehen, wie Klebestreifen aufeinanderpappen. Die Art, wie hier Material verwendet wird, betrifft also andere Bereiche wie etwa die Verwendung des Objet trouvés durch die Dadaisten oder das mit individuellen Mythologien besetzte Objekt der Spurensucher oder die Verwendung von industriell gefertigten Normteilen der Minimal Art-Künstler. Daniel Göttins Installationen sind als Raumsituationen zu verstehen. Sie nehmen nicht wie klassische Skulpturen oder Plastiken eine Position im Raum ein oder besetzen Volumen. Und sie sind nur für die Dauer der Ausstellung existent.
Der von ihm bespielte Raum wird während der «Ausstellung» indentifiziert: in seinen Besonderheiten, mit seinen speziellen Licht-, Form- und Raumverhältnissen. Den Besonderheiten der Shed-Architektur entgegenkommend hat Daniel Göttin für diesen Raum eine Installation erarbeitet, die auf seine «Situation» eingeht: die Shedhalle des Eisenwerkes ist ein offener Raum für Kunst in einer Eingangssituation, ist Foyer zum ansässigen Theater, zur Mehrzweckhalle, zum Restaurant. Sie ist zugleich durch ihre Funktion als Ausstellungshalle ein «ausschliessender» Ort. Die Installation macht das Shed des Eisenwerkes als Ausstellungsraum für Kunst sichtbar und stellt zugleich Fragen an seine Form und Funktion in diesem «Zwischenbereich».
Was zu sehen ist kann schnell beschrieben werden, aber erfordert weit mehr Zeit erfasst zu werden. An den den Ausstellungsraum fassenden Aussenwänden sind schwarze Klebestreifen, 2.5 cm breit, als Linienmuster geklebt. Der Abstand der Streifen bezieht sich auf die zweite Klebearbeit im Raum, die um die tragenden Säulen geklebt ist. Die Streifen sind 5 cm breit und wiederholen in ihrem Abstand die Massbreite der schwarzen Klebestreifen. In der Streifenklebung der Aussenwände wurde alles ausgespart, was schon ein Relief darstellte oder was eigentlich durchsichtig wäre: so wie die weiss übermalten Sichtbausteine.
Die schwarzen Klebestreifen auf der Wand fügen «Masse» hinzu (sind Relief), «öffnen» aber auch die Geschlossenheit der Wand durch visuelle «Schnitte». Die Klebestreifen im Innenraum bauen einen Körper auf (fassen visuell einen Raumkörper), sprechen aber vor allem von Durchsichtigkeit und Leichtigkeit. Die Behandlung der gegebenen Wand und die neue «Wand» (zwei ineinandergreifende U-Formen) setzen sich mit elementaren Raumbedingungen auseinander. Sie behandeln das Thema Wand als Abgrenzung von einem Innen und Aussen und das Thema Volumen, das durch Wände gefasst wird. Sichtbar wird auch die Verbindung von horizontaler Bezeichnung (Lesen der Begrenzung) und vertikalem Aufbau: die Wände sind im Streifenornament horizontel betont. Gleichzeitig entsteht Vertikalität in der Schichtung der Streifen in die Höhe. Architektur?
Daniel Göttin wiederholt das Bekannte räumlicher Bedingungen als künstlerische Setzung in der Anwendung auf den Raum und überführt es damit in einen neuen Bereich. Konstitutive Elemente der Architeltur werden wiederholt: Wand, Volumen, Visualität. Diese Elemente werden aufgehoben und erweitert formuliert: die Wand ist visuell «zerschnitten», der neu gesetzte Raumkörper ist transparent. Malerei ist sichtbar und gleichzeitig Relief (plastisch). Die Raumplastik wird definiert aus «Wänden», ist aber ohne Masse. Ein freches Spiel mit
den Bedingungen der Medien und eine Auflösung bekannter Erlebnisse von Kunst und Ausstellungsraum.
Daniel Göttins Installationen zielen auf die Architektur als kulturelle Realität und auf die elementaren Bedingungen gebauter Formen: Mass, Zahl, Proportion.
Elementares gilt immer schon, und im Bereich der Kunst vor allem seit der Moderne, als Ausdruck objektivierter Zustände und objektivierter Aussagen. Regeln, die wir erkennen. die zum Repertoire unserer Erkenntnismöglichkeiten geworden sind. Entscheidend ist aber, wie das Individuum mit diesem Vokabular operiert. Deshalb ist gerade das Elementare der Ort, wo sich subjektives Erleben deutlich äussern kann. Daniel Göttins Installationen überführen den architektonischen Raum in ungewohnte, das Vertraute des Raumes brechende Erfahrungsbereiche. Seine Kunst zielt auf eine Differenzierung des «Alltäglichen» (Bekannten) und auf eine Unterscheidung von diesem.
Wie schon gesagt, was hier zu sehen ist, ist schnell beschrieben: Streifen und Räume kennen wir alle. Aber die Verschiebung. die der Raum durch Daniel Göttins Eingriff erfährt, schafft Differenz zum Alltag. Der Unterschied zum Bekannten ist so gering, dass das Ereignis des Werkes zum Betrachter, zur Betrachterin überschlägt. Das Ereignis findet im Erkennen und der Irritation des Erkennens statt: in der Wahrnehmung des Charakters des Raumes auf andere Art, in der Wahrnehmung neuer Details, veränderter Stimmungen, veränderter Positionen.
Wo ist die Ausstellung?
Beatrix Ruf (Auszug aus der Vernissage-Ansprache)
Das Sommeratelier 1994 wurde unterstützt von:
René Antoniol und Kurt Huber